Die Betreuung von hochsensiblen Kindern in der Kita

Die tägliche Arbeit in der Kita bringt so einige Herausforderungen für Erzieher mit sich – zum Beispiel bei hochsensiblen Kindern. Denn natürlich hat man in einer Kita-Gruppe mit rund 25 Kindern sehr viele verschiedene Individuen, mit 25 verschiedenen Charakteren und eben genauso vielen Besonderheiten. Denn Kinder sind nicht alle gleich. Und dennoch lohnt sich immer ein genauer Blick. Man sollte jedes seiner vielen kleinen Individuen genau beobachten und schließlich kennen, um bestmöglich auf Wünsche und Bedürfnisse eingehen zu können. Denn oft mischt sich unter diese große Truppe eben auch das ein oder andere Kind, das besondere Bedürfnisse hat und auch besondere Anforderungen mit sich bringt.

Eine solche Besonderheit ist zum Beispiel die sogenannte Hochsensibilität. Gerade dieses Merkmal ist heutzutage in aller Munde und viele Kinder (und auch Erwachsene) bekommen es vorschnell angedichtet. Noch vor einigen Jahren war es die Krankheit ADHS. Heute ist es die Hochsensibilität, die als Massenphänomen aufzutreten scheint. Doch, auch wenn die „Diagnose“ (tatsächlich gibt es für die Hochsensibilität keine konkrete Diagnose) häufig vorkommt, so gibt es wirklich Kinder, die stark hochsensibel sind und bei denen man diese Besonderheit zum einen sehr ernst nehmen muss, um zum anderen kompetent auf das Kind eingehen zu können.

Aber fangen wir mal ganz vorne an: Hochsensibilität, was ist das eigentlich?

Von einem hochsensiblen Kind spricht man dann, wenn alles intensiver wahrgenommen wird, als es bei anderen Kindern der Fall ist. Das heißt, dass alle Sinnesreize und Emotionen stärker und ungefilterter ankommen. So werden z. B. alle Umgebungsgeräusche stärker gehört, Gerüche sind intensiver, das Gesehene wird stärker wahrgenommen, Nahrung ist geschmacksintensiver und Emotionen werden gesteigert erlebt. Alle Sinne können betroffen sein.  In der Summe führt das dazu, dass unheimlich viele Reize auf die Betroffenen einprasseln, bei denen sie nicht in der Lage sind, diese zu filtern. Es kommt häufig zur Reizüberflutung, die sich ganz unterschiedlich äußert. Einige werden müde und sind nicht mehr leistungsfähig, andere reagieren gereizt, wieder andere (gerade Kinder) können dieses Gefühl der Reizüberflutung nicht deuten und handeln sogar aggressiv. Hochsensible Kinder benötigen daher auch öfters mal eine „Auszeit“ für sich.

Insgesamt sind das Verhalten und Erleben hochsensibler Kinder – und Erwachsener – relativ gleich. Mit dem Unterschied, dass die Kinder oft noch nicht wissen, wohin sie mit ihren Gefühlen sollen. Keiner scheint sie zu verstehen und so entsteht oftmals ein sehr auffälliges Verhalten, während Erwachsene rein reflektorisch schon besser damit umgehen gehen. Des Weiteren sind die Erwachsenen in der Lage, Situationen und Dinge, die bei ihnen zur Reizüberflutung führen, zu meiden. Kinder jedoch sind noch gar nicht in der Lage die Auslöser für die Reizüberflutung zu erkennen und können somit nicht damit umgehen. Sie sind dem Ganzen völlig schutzlos ausgeliefert.

… Wenn die Erzieherinnen* nicht wären!

Denn da setzt gute pädagogische Arbeit an:

Es gilt ein hochsensibles Kind zu erkennen und dann richtig zu handeln, sodass dieses Kind in der Lage ist, als festes Teil der Gruppe bestehen zu können. Die schutzlose Auslieferung muss durch die Unterstützung der Erzieherinnen vermieden werden.

Doch um das hinzubekommen, müssen wir erst folgende Frage beantworten:

Woran erkenne ich ein hochsensibles Kind?

Zunächst sei zu erwähnen, dass es keine konkrete Diagnose der „Hochsensibilität“ als Krankheitsbild gibt. Es wird eher als besondere Charaktereigenschaft gesehen, die keiner Diagnose bedarf. Daher gibt es nur spezielle Frage-Tests, die bei sehr häufiger Beantwortung mit „Ja“ eine Hochsensibilität vermuten lassen. Eine Studie geht davon aus, dass weltweit bis zu 20 % der Menschen als hochsensibel eingestuft werden können. Das ist 1/5 der Menschheit. Also ziemlich, ziemlich viel.

Und dennoch ist die Hochsensibilität bei einigen Kindern in der Kita- Gruppe nicht klein zu reden, denn die betroffenen Kinder leiden in einer Regeleinrichtung unter so vielen anderen Kindern schon enorm.

Wenn ihr die Vermutung habt, dass sich ein hochsensibles Kind in der Kita-Gruppe befindet, macht doch einfach mal diesen folgenden Test. Er gibt schon mal einen kleinen Überblick darüber, ob es sich um eine Hochsensibilität handeln könnte. Wenn mehr als 80 Merkmale zutreffend sind, ist eine Hochsensibilität relativ wahrscheinlich:

Hochsensible Kinder:

  1. sind manchmal nicht ansprechbar, weil sie innerlich auf Reisen gehen.
  2. werden schnell von Reizen überflutet.
  3. sind, wenn sie überreizt sind, sehr schreckhaft.
  4. können sich bei Überreizung nur schwer konzentrieren.
  5. brauchen nach Kindergarten, Schule oder Unternehmungen Ruhepausen.
  6. werden „zickig“, wenn beim Spielen ihr Energielevel ausgereizt ist.
  7. fällt es schwer zur Ruhe zu kommen, wenn sie etwas Aufregendes erlebt haben.
  8. bekommen durch zu viel Medienkonsum schlechte Laune.
  9. feiern gerade im Kleinkindalter ihren Geburtstag am liebsten mit einem oder wenigen anderen Kindern.
  10. sind anfällig für Unterzuckerung und reagieren dann erschöpft oder gereizt.
  11. haben nach einem ereignisreichen Tag Schwierigkeiten in den Schlaf zu kommen. Können dann auch zum Nachtschreck neigen.
  12. sind generell eher Vielschläfer.
  13. werden durch neue, unbekannte Situationen überfordert, wenn sie nicht genug darauf vorbereitet wurden.
  14. verlangsamen ihr Tempo, wenn sie sich beeilen sollen.
  15. interessieren sich für Zusammenhänge.
  16. stellen häufig „was wenn…“-Fragen.
  17. tätigen Aussagen, die oft sehr erwachsen bis altklug wirken.
  18. Wirken, durch ihre Fähigkeit, Zusammenhänge verknüpfen zu können, sehr „altersweise“.
  19. stellen tiefgreifende Fragen.
  20. sind sehr wissensdurstig (das zeigt sich nicht unbedingt bei Schulthemen).
  21. können sehr tief in ein Thema eintauchen.
  22. brauchen aufgrund des vernetzten Denkens meist länger, bis sie eine Entscheidung fällen.
  23. mögen keine kratzige oder nasse Kleidung.
  24. ziehen Jogginghosen oder Leggins einer Hose mit Bund vor. Kleidung, die sie beengt, lehnen sie ab.
  25. stören Schilder in der Kleidung.
  26. mögen manche Materialien nicht anfassen, zum Beispiel nasse Watte oder Wolle.
  27. meiden Kleidung aus kratzendem Material, mit Falten, Paillettenverzierungen,…
  28. lehnen Strumpfhosen in Schuhen, Socken mit Nähten oder zu kleine bzw. zu enge Schuhe ab.
  29. sind kälte- oder wärmeempfindlich.
  30. lehnen Nahrungsmittel wegen ihrer Konsistenz ab.
  31. haben einen feinen Geruchssinn und können durch unangenehme Gerüche sehr beeinträchtigt werden.
  32. lehnen Nahrung aufgrund des Geruchs ab.
  33. haben einen feinen Geschmackssinn, sind beim Essen häufig „mäkelig“.
  34. meiden gewürzte Nahrungsmittel.
  35. bekommen bei Geschmacksnoten, die sie absolut nicht mögen, das Würgen.
  36. sind sehr intuitive Esser
  37. meiden grelles oder künstliches Licht, zum Beispiel mit Hilfe einer Sonnenbrille oder einer Cappy.
  38. bemerken kleinste visuelle Impulse, beispielsweise eine Ameise, auf vier Meter Entfernung.
  39. bemerken minimale visuelle Veränderungen (zum Beispiel in der Deko).
  40. empfinden bestimmte Farben (meist, wenn sie grell sind) als unangenehm.
  41. meiden Lärm.
  42. hören „die Flöhe husten“ bei Geräuschen auf allen Frequenzen.
  43. lehnen tickende Uhren ab.
  44. werden unruhig bei zu vielen auditiven Reizen gleichzeitig.
  45. mögen kein Hintergrundgedudel von Fernseher oder Radio.
  46. haben ein gutes Gehör und Gespür für Musik und Rhythmik.
  47. zeigen ein hohes Maß an Empathie.
  48. haben einen Blick dafür, wie es anderen geht.
  49. beobachten das Sozialverhalten anderer Menschen.
  50. sind sehr hilfsbereit.
  51. teilen gern.
  52. setzen sich für Schwächere ein.
  53. lieben Harmonie.
  54. spüren, ob man sich ihnen wirklich emotional zuwendet.
  55. meiden Konflikte.
  56. versuchen bei Konflikten zu schlichten und auszugleichen.
  57. spüren Spannungen und Stimmungen sofort.
  58. können schon früh unter Weltschmerz leiden (Tierhaltung, Umweltverschmutzung …).
  59. leiden, wenn andere schlecht behandelt werden (z. B. durch Lehrer in der Schule).
  60. sind sehr liebevoll und achtsam zu Tieren und Pflanzen.
  61. können einen sechsten Sinn haben und berichten von Engeln, Geistern, Energiewesen …
  62. benennen Gefühle schon früh sehr differenziert und genau.
  63. begeistern sich schnell und euphorisch.
  64. Können Überraschungen oder spontane Planänderungen nicht leiden.
  65. wechseln schnell die Gefühlslage.
  66. können sich leicht mit anderen Kindern verbunden fühlen. Durchschnitts-sensible Kinder benötigen da mehr Zeit.
  67. mögen zu spannende oder gruselige Filme und Geschichten nicht.
  68. können Bloßstellungen und Demütigungen nur schwer ertragen. Sie ziehen sich dann zurück oder flippen aus.
  69. schwindeln selten und wenn, sieht man es ihnen leicht an.
  70. kommen in Stress, wenn sie Dinge nicht können und blockieren dann häufig.
  71. haben einen hohen Anspruch an sich selbst, dem sie häufig nicht genügen können.
  72. versuchen Regeln und Erwartungen zu erfüllen und können dabei sehr rigide agieren.
  73. achten darauf, dass auch andere Regeln befolgen.
  74. sind sehr gewissenhaft, wenn sie Aufgaben bekommen.
  75. versuchen Dinge, die sie nicht können, zu umgehen.
  76. neigen dazu, dass Perfektionismus in Pessimismus umschlägt. Dann trauen sie sich Dinge von vornherein nicht zu.
  77. neigen zum „Vertuschen“, wenn sie etwas schlechter abschnitten als andere (z. B. hören sie beim Wettlauf auf, bevor sie verlieren).
  78. können nicht gut mit Kritik umgehen. Sie hallt noch lange nach. Das Kind wird traurig, wütend oder blockiert.
  79. können häufig nicht gut verlieren.
  80. empfinden schlechte Noten als sehr unangenehm.
  81. beobachten, bevor sie in neue Situationen gehen oder etwas ausprobieren.
  82. haben schon sehr früh einen feinsinnigen Humor.
  83. können sich im Spiel völlig vergessen und ganz in ihrer Welt aufgehen.
  84. lieben Musik und Schönheit.
  85. meiden Konkurrenzsituationen.
  86. werden in Menschenmengen (zum Beispiel beim Weihnachtsmarkt) unruhig.
  87. sind kreativ.
  88. haben eine lebhafte Fantasie.
  89. sind zum Teil lieber mit Älteren als mit Gleichaltrigen zusammen.
  90. neigen zu intensiven Träumen.
  91. sind sehr betroffen, wenn sie getadelt werden.
  92. arbeiten bei einer freundlichen Aufforderung gut mit. Bei Strenge oder Androhungen gehen sie in den inneren Rückzug, in die Verweigerung oder auf die Barrikaden.
  93. kommen in Stress, wenn sie mehrere Arbeitsaufträge auf einmal erledigen sollen.
  94. ekeln sich schnell.
  95. verfügen schon sehr früh über einen umfassenden Wortschatz.
  96. drücken sich im Verhältnis zu durchschnitts-sensiblen Kindern eher „gewählt“ aus.
  97. sind sehr vorausschauend bei Gefahren und entsprechend vorsichtig.
  98. können sich an der Natur erfreuen. Zum Beispiel an einem Sonnenuntergang.
  99. mögen ruhige Spiele und Beschäftigungen.
  100. vermeiden Mannschaftssport mit schnellen Bewegungsabläufen.
  101. sind bei fremden Personen vorerst zurückhaltend.
  102. neigen bei (emotionalen) Stress zu Bauch- und Kopfschmerzen oder Übelkeit.
  103. haben eine sensible Haut.
  104. können zu Allergien neigen.
  105. sind schmerzempfindlich.
  106. sind irritiert über das Handeln gleichaltriger Kinder.
  107. fühlen sich häufig anders als andere Kinder.
  108. haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
  109. setzen sich für andere ein (meist mehr als für sich selbst).
  110. schätzen die Begegnung auf Augenhöhe, auch mit Erwachsenen.
  111. erkennen Autorität nur an, wenn sie authentisch ist. Ansonsten gehen sie eher in die Verweigerung.
  112. hinterfragen viel und sperren sich, wenn ihnen etwas nicht plausibel erscheint.
  113. gehen bei Willkür auf die Barrikaden (zum Beispiel bei unbegründeten Regeländerungen).
  114. beschäftigen sich schon früh mit der Sinnfrage und sind dabei häufig sehr diskussionsfreudig.
  115. sind durch ihr ethisches Empfinden häufig moralische Wächter.
  116. schätzen Ehrlichkeit. Es fällt ihnen schwer zu lügen.
  117. erkennen schnell, wenn sie angelogen oder beschwindelt werden.

Ihr seht, das Thema Hochsensibilität bei Kindern ist sehr vielfältig und so manches, was Ihr gerade gelesen habt, könnte auch bei anderen Kindern vorkommen. Daher seid Ihr als Erzieher gefragt, ein Gespür für hochsensible Kinder zu entwickeln. Ist das Kind in der Kita wirklich hochsensibel? Oder einfach nur sensibel? Oder heute besonders mürrisch? Es ist nicht immer einfach, hochsensible Kinder zu erkennen.

Stellt sich nun heraus, dass ihr ein hochsensibles Kind in eurer Kita-Gruppe betreut, gilt es, auf die besonderen Bedürfnisse des Kindes einzugehen.

Die erste Regel ist hier wohl: Verständnis für die besondere Gabe des Kindes zu zeigen. Schließlich ist es nicht schlecht alles stärker wahrzunehmen. Daraus geht zum Beispiel auch hervor, dass man ein Kind vor sich hat, was besonders feinfühlig und empathisch ist.

Nichtsdestotrotz sollte man eben immer im Hinterkopf behalten, wie und in welcher Intensität das Kind die jeweilige Situation gerade erlebt. Alle Begebenheiten, die bei dem betroffenen Kind zur Reizüberflutung führen könnten, sollten mal überdacht werden.

Die Fragestellung ist: Wie kann ich es dem Kind angenehmer machen? Das sind einfach auch Kleinigkeiten. Zum Beispiel eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten. Denn natürlich können nicht alle anderen 24 Kinder der Gruppe auf den morgendlichen Stuhlkreis verzichten, weil er für das hochsensible Kind eine Reizüberflutung zur Folge hat. So wäre es denkbar den Stuhlkreis nach wie vor anzubieten, dem betroffenen Kind aber freizustellen, ob (und wie lange) es dort mitmachen möchte. Verständnis steht hier an oberster Stelle. Weiß ich, dass das Kind unheimlich lange braucht, um sich anzuziehen, wenn es schnell gehen soll, so lasse ich es gar nicht erst in diese Situation kommen, dass Stress entsteht. Ich gebe dem Kind z.B. die Möglichkeit früher als die anderen in die Garderobe zu gehen, um sich anzuziehen. Dies sind nun nur einige wenige Beispiele, wie die Umsetzung funktionieren kann… wichtig ist aber generell, dass man seine ganze Struktur und sein Handeln in Bezug auf dieses Kind überdenkt. Zunächst stellt man sich da die Fragen: „Was sind es für Situationen, die das Kind nicht gut verkraftet?“, „Wo eckt es mit anderen Kindern an?“, „Wann treten Wutanfälle auf?“ um dann jede Aktion des Tages überdenken und möglicherweise umstrukturieren zu können, um bei dem hochsensiblen Kind langfristig einen Erfolg sehen zu können.

Wie geht Ihr als Erzieherinnen und Erzieher mit dem Thema Hochsensibilität um? Habt Ihr hochsensible Kinder in Eurer Kita?

*Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen & personenbezogenen Wörtern wurde hier die weibliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Von Manuela

Manuela kann als Erzieherin sehr gut mit Kindern, aber auch mit Texten.

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