Zu spät abgeholt – Alltagsanekdote 24

Was es bei Erziehern auslöst, wenn Kinder zu spät abgeholt werden, ist Thema dieser neuen Alltagsanekdote. Denn: Zeit ist ein heiliges Gut. Das wissen wir alle. Wir jonglieren als Erzieher nicht nur mit Snackzeiten, Mittagsschlaf und Bildungsangeboten, sondern auch mit der Pünktlichkeit. Der Pünktlichkeit der Eltern. Oder besser gesagt: mit dem häufigen Mangel daran. Lasst uns mit Manuela einen augenzwinkernden Blick darauf werfen, wie die Abholzeit zur täglichen Zerreißprobe im Kitaalltag wird.

Zu spät abgeholt, Feierabend verschoben

Der Feierabend von uns Erziehern hängt von anderen Leuten ab. Das an sich ist schon unfair. Schließlich können wir nicht einfach zum Feierabend aus der Kita stürmen, wie es in einem Büro möglich wäre. Denn was ist, wenn da noch ein Kind sitzt, was nicht pünktlich abgeholt wurde? Einfach zu gehen, wäre zum einen sehr herzlos und zum anderen nicht erlaubt. Während die meisten Eltern ihre Schützlinge pünktlich einsammeln, gibt es immer diese speziellen Eltern, die den Begriff „Unpünktlichkeit“ neu definieren. Und was macht man da?

Tief durchatmen, leise bis drei zählen und sich in Geduld und Improvisation üben – zumindest, bis die Unpünktlichkeit chronisch wird.

Wieso werden manche Kinder immer zu spät abgeholt?

Schnell wird aus einem geplanten Feierabend ein spontanes Überstunden-Bingo. Nicht selten spielen wir am Ende des Tages „Schnick, Schnack, Schnuck“, um zu entscheiden, wer das Glück hat, heute mal wieder länger zu machen, um das letzte nicht abgeholte Kind zu betreuen. Der Witz daran ist: Irgendein Kind hat man immer. Wenn wir die einen Eltern so „erzogen“ haben, dass es endlich klappt mit der Pünktlichkeit, folgen die nächsten. Der pünktliche Feierabend bleibt also eine Utopie.

Unser aktueller Härtefall in Sachen Abholzeiten ist Justus oder besser gesagt, es sind seine Eltern. Justus, dessen Abholzeit so variabel ist wie das Aprilwetter. Seine Eltern sind berühmt-berüchtigt für ihr schlechtes Timing und ihre kreativen Ausreden: vom verlorenen Autoschlüssel bis hin zur Entführung von Außerirdischen – wir haben schon alles gehört.

Zu spät abgeholt: ein Tag mit Justus

Eines Morgens, als ich die Kita-Tür öffne, sehe ich Justus bereits in der Spielecke sitzen und eine Blockade aus Legosteinen errichten. Mein erster Gedanke: „Da sitzt mein Feierabend. Unschuldig und freundlich.“ Justus, bekannt dafür, dass seine Eltern ihn grundsätzlich als Letzten abholen, schaut heute irgendwie mitgenommen aus. Ich erwische mich bei dem fiesen Gedanken: „Vielleicht wird er heute früher abgeholt, weil er kränkelt.“ Ein Funken Hoffnung keimt in mir auf. Ja, ich weiß, eine gemeine Hoffnung. Aber nun denn, was soll ich sagen? So geht es Erziehern eben manchmal.

Der Tag verläuft wie immer: Bastelstunden, Vorlesezeit, draußen spielen. Justus hustete ein paar Mal leise während des Vormittags, was mir natürlich wieder einen gemeinen Hoffnungsschub gab. „Vielleicht rufen sie an und sagen, dass sie ihn früher holen wegen eines Arztbesuchs“, denke ich mir, während ich das Telefon wie einen Lottogewinn im Auge behalte. Nichts. Kein Anruf. Keine Botschaft.

Große Frage: Wird Justus zu spät abgeholt?

Die Uhr rückt unaufhörlich Richtung Feierabend vor. Eigentlich ein absolutes Glücksgefühl. Nach einem so langen Tag im Kinderparadies und gleichzeitiger Erwachsenenhölle. Durch den hohen Geräuschpegel freuen wir uns doch alle auf ein bisschen Ruhe, ehe es am nächsten Tag wieder mit viel Freude und Elan weitergeht. Die anderen Kinder werden nach und nach abgeholt, ihre glücklichen Eltern winken beim Verlassen des Geländes. Nur Justus bleibt, bis jetzt. Wie immer, es war ja eigentlich klar. Aber noch ist es nicht 17:30 Uhr. Ich gebe das Vertrauen in seine Eltern noch nicht auf. Der Himmel färbt sich orange-rot, ein malerischer Anblick, wäre da nicht das drohende Überstunden-Gespenst, das langsam seinen Schatten über mich wirft.

17:25 Uhr: Tick, tack, tick, tack! Die Hoffnung steigt noch ein letztes Mal. Vielleicht geschieht ein Wunder?

17:30 Uhr: Nein, kein Wunder. Jetzt ist offiziell Feierabend. Offiziell. Aber wen interessiert das schon? Alle Kinder sind weg bis auf Justus, der geduldig seine Legosteine sortiert und ab und zu auf die Tür blickt. „Schnick, Schnack, Schnuck“, das Überstunden-Spiel beginnt. Mein Kollege grinst, als er das Spiel gewinnt und triumphierend das Gebäude verlässt. Und ich weiß, ich werde laaaaaaange bleiben. Keiner kann sagen, wann Justus Eltern hier auftauchen. Es ist schon gemein. Ich verliere einfach immer bei dem Spiel.

17:45 Uhr: Ich versuche Justus Eltern telefonisch zu erreichen. Fehlanzeige!

Mal wieder zu spät abgeholt

18:00 Uhr: Ich spiele gerade zum zwanzigsten Mal „Turmbau zu Babel“ mit Justus, als die Tür aufgeht. Wie eine Erscheinung stehen da seine Eltern – unpünktlich und atemlos, als hätten sie einen Marathon hinter sich. Sie entschuldigen sich überstürzt und erzählen etwas von einem verlorenen Handy und einem unerwarteten Verkehrsstau. Jaaaa, genau – die üblichen Verdächtigen ihrer Ausreden-Sammlung.

Nachdem ich die Kita also 45 Minuten zu spät abgeschlossen und das Gebäude verlassen habe, ist mein Gefühl eine Mischung aus Resignation und dem stummen Wunsch nach einem weniger dramatischen Folgetag. Doch der nächste Tag beweist nur, dass Hoffnung in diesem Beruf ein Luxus ist.

Täglich grüßt das Murmeltier

Am nächsten Tag stehe ich nämlich schon wieder mit Justus allein da („Schnick Schnack Schnuck“ kann mich mal!). Nachdem alle anderen Kinder pünktlich abgeholt wurden, bleibt er wieder übrig. Die Sonne versinkt erneut hinter dem Horizont, als das Telefon klingelt. Justus‘ Vater ist am Apparat und ich bin mega gespannt, was da am anderen Ende der Leitung auf mich wartet. Er hat eine neue, wirklich kreative Ausrede zu bieten: „Tut mir leid, wir sind beim Friseur festgehangen. Ohne die neue Frisur kann meine Frau nicht unter Leute gehen.“ Ich muss lachen – teils aus Verzweiflung, teils weil die Absurdität der Situation jede Comedy-Serie in den Schatten stellt.

Am übernächsten Tag wiederholt sich das Spiel schon wieder. Wieder verliere ich bei „Schnick, Schnack, Schnuck“ (ÜBERRASCHUNG). Wieder sehe ich, wie die Sonne untergeht, während ich Justus beim Spielen zuschaue. Seine Eltern schießen diesmal den Vogel komplett ab: „Unser kleiner Hund ist in der Hundeschule durchgefallen, wir mussten ihn trösten und diskutieren, wie es weitergeht.“ Mein Lächeln wird müde, meine Wut (oder ist es schon Hass?) immer größer.

Zu spät abgeholt: Der Wendepunkt

Und schließlich kommt ein Tag, den wirklich keiner kommen sah. Es ist der Tag, der für uns alles veränderte. Ein weiteres ernsthaftes Gespräch mit der Kita-Leitung hat offenbar endlich Früchte getragen. Den Eltern von Justus wurde mit Rauswurf aus der Kita gedroht.

An diesem Tag betrete ich also die Kita mit dem festen Glauben, wieder das altbekannte Spiel spielen zu müssen, doch das Schicksal hat andere Pläne.

Es ist 17:20 Uhr. Alle Eltern kommen vom Parkplatz zur Eingangstür gelaufen, um ihre Kinder abzuholen. Und zwischen all diesen Gestalten entdecke ich plötzlich Justus Eltern, die wie Heilige zur Tür zu schweben scheinen. Es ist einfach nicht zu fassen, sie sind pünktlich! Sie wirken fast so überrascht über ihre eigene Pünktlichkeit wie ich.

Justus springt auf, seine Tasche schon griffbereit und rennt zu seinen Eltern. Sie winken mir zu, bedanken sich übertrieben und versprechen doch tatsächlich, dass dies nun die neue Normalität sei. Ich kann es gar nicht fassen. Was muss die Leitung diesen Menschen alles angedroht haben, dass dieses Wunder gerade geschieht? Ich möchte es gar nicht so genau wissen und bin einfach nur happy über diesen Umstand.

Ein wohlverdienter Sieg

Kaum hat Justus mit seinen Eltern das Gebäude verlassen, höre ich das wohlvertraute Geräusch eines Sektkorkens, der knallt. Im Gruppenraum finde ich mein Team mitsamt Leitung vor, wie es bereits die Gläser erhebt. „Auf die Pünktlichkeit!“, ruft einer meiner Kollegen und wir stoßen an. Lachen und ausgelassene Gespräche füllen den Raum und mir wird klar, dass ich heute die Kita wieder nicht pünktlich verlassen werde. Aber egal, denn heute gibt es einen Grund zu feiern. Justus Eltern sind pünktlich, also ein Toast auf die pünktliche Abholung.

Immer wird ein Kind zu spät abgeholt

Auch wenn wir alle wissen, dass es morgen Johanna, Bente, Simon oder Fadi sein könnten, die nicht pünktlich abgeholt werden, so sind wir für diesen Moment glücklich, dass wir den Justus-Kampf gewonnen haben. Manchmal können auch die hartnäckigsten Gewohnheiten gebrochen werden. In unserem Beruf sind es genau diese kleinen Siege, die uns zeigen, dass all die Mühen, die Geduld und die vielen Überstunden nicht umsonst sind. Sie sind es wert, gefeiert zu werden – mit einem Glas Sekt in der Hand und einem guten Team.

Und so lässt sich auch das alte Kita-Gesetz ertragen, das besagt: Die Unpünktlichkeit der Eltern geht immer weiter… 😉

Wie geht Ihr mit Eltern um, die ihre Kinder chronisch zu spät abholen? Schreibt uns über Eure Erfahrungen und nennt die lustigsten Ausreden der Eltern auf unserem Instagram- oder Facebook-Kanal!

Von Manuela

Manuela kann als Erzieherin sehr gut mit Kindern, aber auch mit Texten.

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