Kann jedes Kind schlafen lernen? Interview mit Schlafcoach Andrea Baker

Schlafcoaching für Kinder? Eltern und Erzieher kennen das: Es gibt Kinder, die nie einschlafen wollen oder können. Wir haben Schlafcoach und Erzieherin Andrea Baker gefragt, welche Tipps Sie den Erziehern und Eltern geben kann, damit die Kleinen besser einschlafen.

Wer bist Du, was hast Du bisher so gemacht?

Ich heiße Andrea Baker und wohne mit meinem Mann sowie unseren zwei Söhnen (18 & 10 Jahre) im wunderschönen Wiesbaden. Bevor ich 2015 meine Arbeit in einer Kinderkrippe begonnen habe, arbeitete ich viele Jahre im Elementarbereich sowie als Inklusionsfachkraft. 2019 habe ich eine Fortbildung zum Schlafcoach für Babys und Kleinkinder bei Bianca Niermann absolviert. Seitdem berate und unterstütze ich Familien mit Schlafproblemen, aber auch Kitas, Erzieher und Tagesmütter. Schlafcoach Andrea Baker

Wie bist Du darauf gekommen, Schlafcoach für Kinder zu werden?

Verzweifelte Berichte von schlaflosen Nächten sind mir durch meine Arbeit in der Kita nicht unbekannt. Grade bei Erstgesprächen und auch bei den sogenannten Tür- und Angelgesprächen kommt das Thema sehr häufig auf. Viele Eltern fühlen sich ausgelaugt, sind übermüdet und gestresst. So hatten Sie sich das Elternsein nicht vorgestellt. Einige Paare schlafen in getrennten Zimmern. Der Schlafmangel nagt an der Beziehung, es wird mehr gestritten, wodurch das Kind eventuell noch schlechter in den Schlaf findet. Und die meisten Eltern denken, sie seien mit diesen Problemen allein und trauen sich kaum mit anderen darüber zu sprechen. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit einer Mutter erinnern, die mir erzählte, dass sie einen Schlafcoach zu Rate gezogen hat, weil ihr Sohn so schlecht einschlafen konnte. Da ich zuvor noch nie etwas von einem Schlafcoach gehört hatte, habe ich etwas Nachgeforscht und was ich herausgefunden hatte, fand ich super.

Ich hatte für mich einen Weg gefunden, wie ich eventuell Familien Unterstützung bieten kann, um wieder angenehmere Nächte zu haben.

Kann man wirklich Kinder trainieren zu schlafen?

Leider wird das Schlafcoaching noch viel zu häufig mit einem Schlaftraining verwechselt bzw. gleichgestellt. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen den beiden☝🏻.

Beim Schlaftraining geht es darum, dass ein Kind so schnell wie möglich ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes das Schlafen lernen soll. Die „Schreien-lassen-Methode“ wird leider auch heute noch von Kinderärzten und älteren Generationen empfohlen und für in Ordnung befunden. Mittlerweile weisen die Ergebnisse einiger Studien daraufhin, dass solche Methoden zu emotionalen Schäden und Bindungsstörungen führen können.

Ein Schlafcoaching hingegen ist keine 0-8-15 Methode, sondern eine individuelle Lösung ganz auf das Kind abgestimmt. Es wird kein Schema F durchgezogen und die Eltern werden nicht aufgefordert. ihr Kind allein im Zimmer schreien zu lassen. Das Schlafproblem wird vielmehr gemeinsam analysiert und es wird geschaut, wieso genau das Kind so häufig aufwacht oder nur schwer in den Schlaf findet.

So ist es z. B. manchmal der Fall, dass im Coaching festgestellt wird, dass das Kind einfach übermüdet ist, weil der Rhythmus überhaupt nicht altersentsprechend ist. Bei einem Schlaftraining werden solche Punkte erst gar nicht betrachtet, denn es wird nur ein Schema angewandt und die Situation nicht ganzheitlich analysiert.

Damit Kinder loslassen und entspannt einschlafen können, brauchen sie Unterstützung, Sicherheit und Vertrauen seitens der Eltern. Und genau das, wird in einem Schlafcoaching sichergestellt. Mit sanften Veränderungen Schritt für Schritt lernt das Kind positive Schlafgewohnheiten kennen. So funktioniert Schlafcoaching für Kinder.

Aber meine Gegenfrage: Muss ein Kind denn schlafen lernen? Kann es das nicht längst?

Doch! Es kann von Beginn an schlafen. Bereits im Mutterleib schläft ein Baby. Auch hier gibt es bereits Schlaf- und Wachphasen, ohne dass einem Baby das Schlafen beigebracht werden muss. Es kann schlafen, einfach so.

Was wir Erwachsenen uns bewusst machen sollten ist, dass das Baby im Mutterleib ununterbrochen den Herzschlag der Mama hört. Es spürt jede Bewegung von ihr und ist 24 Stunden in einer warmen, kuscheligen Umgebung. Und dann wird es plötzlich geboren. Die erste große Trennung von der Mama. Trotz Bonding und Beistellbett ist diese Nähe und Sicherheit, die ein Baby zuvor kannte, plötzlich in dieser Form nicht mehr vorhanden. Und jetzt in dieser neuen Umgebung muss es lernen zu schlafen? Bestenfalls von Anfang an allein, ohne Körperkontakt und in seinem Zimmer? Damit es sich auf keinen Fall ein falsches Schlafverhalten angewöhnt?

Ein ganz klares Nein. Ein Baby muss nicht schlafen lernen. Es muss lernen entspannt und vertrauensvoll einschlafen und weiter schlafen zu können. Dafür braucht es weder eine teure Wippe oder irgendwelche Handy-Apps. Das Baby benötigt eigentlich nur Sicherheit, Nähe und Geborgenheit. Das Gefühl, dass die Person, von der es nun zu 100 % abhängig ist, auch in dieser so neuen und ungewohnten Schlafumgebung da ist und es nicht allein lässt. Das bedeutet für neu gebackene Eltern. Gebt Euren Babys ganz viel Nähe und Körperkontakt. Stillen, tragen oder einfach nur im Bett kuscheln, alles ist erlaubt.

Warum haben viele Kinder so Schwierigkeiten einzuschlafen und auch durchzuschlafen? Warum wird dann ein Schlafcoach für Kinder gebraucht?

Es gibt ganz viele unterschiedliche Gründe, warum ein Kind schlecht einschlafen bzw. durchschlafen kann. Einer der häufigsten Gründe ist, dass der Schlaf- bzw. Wachrhythmus des Kindes nicht dem Alter entspricht. Entweder bekommen es zu viel oder zu wenig Schlaf. Beides kann große Auswirkungen auf das Einschlafen und Durchschlafen haben.

Es kommen auch immer wieder Phasen auf in denen Kinder schlecht schlafen, wenn sie einen Wachstumsschub haben, Zähne bekommen oder krank werden. Es kann aber auch sein, dass die Kleinen zu viele unterschiedliche Einschlafhilfen benötigen. Hierbei rate ich immer: Weniger ist mehr!

Teilweise gibt es ja sehr rabiate Methoden, Kinder zum Einschlafen zu bringen. Wie würdest Du als Schlafcoach Deine Methode bezeichnen?

Für mich gilt, jedes Kind ist einzigartig und somit orientiert sich die Lösung immer an den individuellen Bedürfnissen des Kindes. Ich schaue gemeinsam mit den Eltern, was das Kind benötigt, um besser schlafen zu können. Das wichtigste für mich ist, dass das Kind sich bei jeder Veränderung sicher und geborgen fühlt.

Kann jedes Kind schlafen lernen?

Viele Kinder haben Schwierigkeiten einzuschlafen – eine große Herausforderung für Eltern und Erzieher:innen.

Was hältst Du von Büchern wie „Jedes Kind kann schlafen lernen“? Solche Bücher sind ja sehr umstritten.

Ich würde solche Bücher nie weiterempfehlen, denn für mich ist es ein Aufruf zur psychischen Gewalt an unseren Kindern. Das elementare Urvertrauen des Babys in die Mutter (und später auch in sich selbst) wird nicht aufgebaut. Klar wird das weinen immer weniger und das Kind schläft irgendwann ein, doch nur, weil es resigniert hat. Es bleibt ein tiefer psychischer Effekt. Ein Leben lang. Denn Angst, Einsamkeit und Hilflosigkeit sind keine guten Einschlafbegleiter. All das fühlt nämlich das Baby, wenn es allein im Bettchen liegt und weint.

Kinder in den Schlaf zu begleiten ist kein Verwöhnen. Es ist eine naturgegebene Notwendigkeit. Kinder tragen alle das essenzielle Bedürfnis nach Verbundenheit in sich.

Aber Einschlafen bedeutet für unsere Kinder auch den vollkommenen Kontrollverlust. Um friedlich in den Schlaf finden zu können, müssen sie sich unserer Fürsorge sicher sein.

Was rätst Du als Schlafcoach für Kinder den Erzieher:innen in der Krippe, wenn sie Kinder haben, die nicht einschlafen können oder wollen?

Achtet auf altersentsprechende Schlafzeiten. Ist das Kind eventuell schon übermüdet oder noch nicht müde genug? Geht mit den Eltern ins Gespräch. Wie schläft das Kind zu Hause? Ist es eher ein Bauchschläfer oder schläft es ohne Decke ein? Wie ist die Einschlafsituation in der Gruppe allgemein? Haben die Erzieher genug Kapazitäten das Kind 1:1 in den Schlaf zu begleiten? Falls sich Erzieher:innen und Eltern nicht sicher sind, ob das Kind zu viel oder zu wenig schlaf bekommt, führt ein Schlafprotokoll. Da kann man einige im Internet finden und auch kostenlos nutzen.

Was rätst Du Eltern, wenn sie Kinder haben, die nicht einschlafen können oder wollen?

Ähnliches wie auch den Erziehern: altersentsprechende Schlafzeiten und Wachzeiten, Überprüfung der Einschlafhilfen usw. Feste Einschlafrituale sind immer ein guter Beginn, denn Kinder lieben und brauchen immer wiederkehrende Rituale.

Ganz wichtig zu beachten ist auch, ob das Kind genug Zeit mit Mama und Papa hat. Denn fehlende Nähe zu den Bezugspersonen kann auch Einschlafprobleme auslösen. Also: Ist der „Bindungs-Akku“ des Kindes am Tage ausreichend aufgefüllt worden? Kann es sich einfach in der Nacht „lösen“?

Ist das Kind schon im Stande sich selbst zu regulieren oder brauch es dazu noch die Unterstützung von Mama und Papa oder weitere Einschlafhilfen? Nur durch Selbstregulation können Kinder selbstständig in den nächsten Schlafzyklus finden.

Wenn Du als Schlafcoach für Kinder gebucht wirst, was sind dann die ersten Schritte? Wie kann man sich so ein Schlafcoaching vorstellen?

Wenn Eltern Interesse an einem Schlafcoaching haben, biete ich ihnen ein kostenloses und unverbindlich Telefonat an. Hier sprechen wir kurz über die aktuelle Schlafsituation, was die Eltern eventuell schon getan haben und klären, ob ein Schlafcoaching zu Ihnen passt. Dieses erste Telefonat ist wichtig, um zu sehen, ob man sich sympathisch ist. Denn ein gutes Schlafcoaching funktioniert nur mit Vertrauen und einem „guten Bauchgefühl“.

Ist die Entscheidung für ein Schlafcoaching gefallen, vereinbare ich einen Termin für das erste Treffen. Die Eltern bekommen im Vorraus ein Tagesprotoll zugeschickt, dass sie sieben Tage führen müssen. Für mich ist dieses Protokoll von großer Bedeutung. Daraus kann ich lesen, wie viel Schlaf das Kind hat und wie sich der Rhythmus gestaltet.

Das erste Treffen wird auch Analysegespräch genannt. Ich sehe die Eltern als die Experten Ihres Kindes, deshalb stelle ich im Analysegespräch viele Fragen. Ein wichtiger Punkt, der geklärt wird in diesem Gespräch, wie soll zukünftig in Ihrer Familie geschlafen werden und wie passt diese Vorstellung zu dem Entwicklungsstand des Kindes?

Der zweite Termin ist das Coaching. In Bezug auf das Alter des Kindes vermittle ich den Eltern umfangreiches Wissen zum Thema Kinderschlaf. Unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des Kindes sowie der selbstgenannten Ziele der Familie, erarbeiten wir schließlich gemeinsam eine individuelle Lösung.

Nachbetreuung: Eine Woche nach dem Schlafcoaching erkundige ich mich, wie die aktuelle Schlafsituation bei der Familie ist und es können eventuell Fragen klärt und/oder Schwierigkeiten geklärt werden.

Gibst Du auch Schlafcoaching-Seminare für Kitas und Erzieher?

Ja, ich arbeite auch als Referentin zum Thema Kinderschlaf für Kitas, Erzieher und auch Tagesmütter. Häufig aufkommende Themen sind der Mittagsschlaf, das Wecken von Kindern oder passende Einschlafhilfen in der Kita/ bei der Tagesmutter.

Natürlich stehe ich auch beratend den Fachkräften zu Seite, wenn es um Einzelfälle geht oder zur Erarbeitung eine individuellen Schlafkonzeptes für die Einrichtung.

Vielen Dank, Andrea für dieses Gespräch.

Weitere Informationen zu Andrea Baker und ihrem Schlafcoaching findet Ihr auf ihrer Webseite: https://www.cozy-nights-schlafcoaching.de/
Instagram: schlafcoach_andrea_baker
Facebook: Cozy Nights Schlafcoaching Andrea Baker

Von rschulte

Ralf Schulte ist Texter, Redakteur, Creative Director, Marketingspezialist sowie Literatur-, Film- und Theaterwissenschaftler.

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