Buch-Rezension: Keine Angst vor der Angst
Höhenangst, Flugangst, Spinnenphobie, Lampenfieber, Angst vor Kriegen, Corona, Einbrechern oder der Dunkelheit… – Ängste gehören zum Alltag von Erwachsenen wie von Kindern. Der Umgang mit den individuell oft sehr unterschiedlichen Kinderängsten kann für Erzieher und Eltern eine Herausforderung sein. Daher hat Christine Rickhoff sich mit „Keine Angst vor der Angst“ diesem sensiblen Thema auf einfallsreiche Weise gewidmet.
Das umfangreiche Buch, das sich an Kinder ab 5 Jahren richtet, bietet Einblicke in die Vielfalt der Ängste, mit denen Kinder konfrontiert sind, und viele praktische Tipps und bewährte Strategien, um diesen Ängsten zu begegnen. Durch die Perspektiven von 100 Experten, Prominenten, anderen Erwachsenen und Kindern entsteht eine facettenreiche Sammlung, die für Erzieher und Eltern wertvolle Werkzeuge zur Unterstützung der Kinder bereithält. In dieser Rezension werfen wir einen genaueren Blick auf die Stärken und Inhalte dieses bemerkenswerten Buches und wie es Euch dabei helfen kann, Kindern in angstbesetzten Situationen zur Seite zu stehen.
Offenheit macht ängstlichen Kindern Mut
Was haben Fußballer Thomas Müller, Kindermusik-Legende Rolf Zuckowski, Lina Larissa Strahl („Bibi und Tina“), Musiker wie Max Giesinger, Dikka mit der Nashorn-Maske und Peter Maffay („Tabaluga“) sowie Juri Tezlaff (KIKA), Tänzerin Motsi Mabuse, Tobi Krell („Checker Tobi“), eine Astrophysikerin, ein Feuerwehrmann, ein Hausmeister, eine Moderatorin, ein Bestatter, eine Haifischforscherin, ein Richter und eine Hebamme gemeinsam? Sie alle und noch viele andere trauen sich, offen über ihre eigenen Ängste zu sprechen und geben Tipps, wie sich damit besser umgehen lässt.
Was „Keine Angst vor der Angst – Ein Buch wie 100 Freundinnen und Freunde“ so besonders macht, ist eben diese beeindruckende Fülle von authentischen Stimmen, die Autorin Christine Rickhoff zusammengetragen hat. Die einen haben Angst, vom Pferd zu fallen, dass die Eltern sich trennen oder sich zu blamieren, weil Deutsch nicht die Muttersprache ist. Bei anderen sind es Ängste vor Tod, Hexen, Schulsport oder dem Versagen. Auch ständiges Sorgenmachen belastet. Die persönlichen Geschichten zeigen deutlich, dass alle Menschen Angst haben, die erfolgreichen und berühmten genauso wie unsere Nachbarn, Lehrer wie Schüler, Omas wie kleine Kinder. Ein wichtiger Lerneffekt dieser Sammlung ist daher, dass sich keiner für seine Ängste zu schämen braucht – denn wir befinden uns mit solchen Problemen in guter Gesellschaft.
Das schafft eine ansprechende Herangehensweise an das komplexe Thema. Die drolligen Illustrationen von Felicitas Horstschäfer geben dem Buch zusätzlich einen positiven Ton, sodass es Kindern noch leichter fallen kann, sich auch mit unangenehmen Gefühlen auseinanderzusetzen.
Angst in der Kita überwinden
Die kindgerechte Darstellung und die inspirierenden Geschichten machen das Buch leicht zugänglich und nützlich für Kinder und Erwachsene. Die Tipps reichen von praktischen Übungen wie Atemtechniken und Körperübungen bis hin zum Singen oder mentalen Strategien wie dem Hinterfragen von Ängsten, Dankbarkeit für schöne Momente und dem Einsatz von Mut-Sätzen. Auch der Glaube an sich selbst und an die eigenen Fähigkeiten spielt eine große Rolle bei der Überwindung von Ängsten. Wiederholt werden die Kinder außerdem dazu ermuntert, über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen, sich bei Familie, Freunden und anderen Bezugspersonen Hilfe zu holen. So fühlen sich die Kleinen weniger allein, selbst wenn die Ängste dadurch nicht sofort komplett verschwinden.
Buchtrailer „Keine Angst vor der Angst“:
Konkrete Tipps gegen die Angst
Und was sagen die 100 Menschen, wie sich der Angst begegnen lässt? Zum Beispiel macht sich Dr. Robert Gorzka, Einsatzpsychologe bei der Bundeswehr, in brenzligen Situationen manchmal selbst Mut mit Sprüchen wie „Und weiter geht’s!“. Wichtig ist, dass seine Stimme dabei die Angst übertönt.
Dass aus Ängsten sogar etwas Schönes entstehen kann, zeigt das Leben einer Lehrerin, die als Kind Angst vor ihrer eigenen Einschulung hatte. Nun geht sie jeden Tag freiwillig und gern in die Schule. Deshalb kann es sich umso mehr lohnen, der Angst ins Auge zu sehen und neue Erfahrungen zu machen.
Musiker Dikka rät dazu, die Angst zum Geburtstag einzuladen. Schließlich würden alle immer nur vor ihr davonlaufen, dabei ist sie eigentlich Teil unseres Lebens. Viele weitere Menschen erzählen davon, dass die Angst zum Leben gehört und sogar wichtig ist, wenn sie uns vor Gefahren beschützt.
Checker Tobi berichtet, dass es völlig in Ordnung ist, wenn man die Angst einmal nicht überwinden kann. Es kostet Mut, sich das einzugestehen. Deshalb können wir auch stolz darauf sein, wenn wir es schaffen, in bestimmten Situationen und bei einem unguten Gefühl „Nein“ zu sagen.
Ihr merkt schon, es gibt vielfältige Ansatzpunkte, um mit Kindergartenkindern anhand der Schilderungen über Ängste zu sprechen.
„Keine Angst vor der Angst“ in der Kita
Bevor dieses Buch in Eurer Einrichtung zum Einsatz kommt, empfehlen wir Euch, es eingehend durchzuarbeiten. Denn „Keine Angst vor der Angst“ hat ein kleines Manko: Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, welche Doppelseite sich mit welchen Angst-Thematiken befasst. Ihr solltet daher das Buch gut kennen und eventuell mit Lesezeichen oder anderen Markern versehen, um die für Eure Gruppe oder einzelne Kinder passenden Stellen gezielt heraussuchen zu können. Der eine oder andere Text könnte für Kindergartenkinder eventuell noch etwas abstrakt sein – probiert am besten aus, was individuell gut funktioniert.
Eine gute Gesprächsgrundlage sind auf jeden Fall die Doppelseiten, auf denen Kinder selbst über ihre Ängste sprechen. Sie bekommen „Patentipps“ von den passenden Spezialisten, die genau auf ihre Berichte eingehen.
Enthalten ist zudem eine Doppelseite, die Kinder selbst gestalten können, um sich vorzustellen und über ihre Ängste zu berichten. Darauf gibt es auch Platz für Geheim- und Patentipps von Erwachsenen. Die Doppelseite könntet Ihr zum Beispiel kopieren und den Eltern mit nachhause geben, damit sie im geschützten Rahmen das Thema weiter vertiefen, wenn die Kinder es wünschen.
Vielleicht entscheidet Ihr Euch, Themenwochen über Gefühle anzubieten und nehmt Euch in diesem Rahmen das einfühlsame Sachbuch zur Hilfe. Es ist ratsam, in der Auseinandersetzung mit diesen sensiblen Inhalten den Kindern ausreichend Zeit und Raum zu verschaffen, sie zu nichts zu drängen und genau auf ihre Reaktionen zu achten.
Experten-Info am Schluss
Im letzten Teil des Buchs findet Ihr als Erzieher noch wertvolle Ratschläge der Experten für den Umgang mit den Ängsten der Kinder. Sie ermutigen dazu, Ängste nicht zu bagatellisieren, sondern ernst zu nehmen, genau zuzuhören, zu hinterfragen und unterstützend zur Seite zu stehen. Dabei gilt es, sich dem Tempo der Kinder anzupassen – also weder Druck aufzubauen noch das Angst-Thema zu vermeiden oder es durch Übertreibung zu verschlimmern. Auch die Abschnitte „Wie stärke ich mein Kind?“ und „Woher weiß ich, wann wir professionelle Hilfe brauchen?“ können für Erzieher interessant sein.
Unser Fazit:
Sorgen und Ängste sind völlig normal – sie sollen jedoch nicht das Leben von Kindern bestimmen und sie dadurch in ihrer Entwicklung einschränken. „Keine Angst vor der Angst“ bietet auf über 200 Seiten authentische Berichte und eine geballte Ladung an Hilfestellungen, die einen großen Teil der alltäglichen Ängste abdecken, Trost und Unterstützung sind und gleichzeitig Mut machen. Das Buch zeigt, dass Angst ein alltägliches Gefühl ist, das wir alle erleben, und dass es Wege gibt, damit umzugehen und daran zu wachsen. Sicherlich werden sich die meisten Kinder in dem ein oder anderen Profil wiederfinden und auch als Erzieher werdet Ihr von den vielfältigen Erfahrungen, Tipps und Anregungen profitieren können.
„Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut, sondern Liebe“, sagt Johanna Fröhlich Zapata, Medizinanthropologin und Heilpraktikerin für Psychotherapie (S. 203). In diesem Sinne hoffen wir, dass wir Erwachsenen es schaffen, Kinderängsten stets mit Geduld, Respekt und viel Liebe zu begegnen, um die Kleinen stark zu machen.
Fakten zum Buch „Keine Angst vor der Angst“: Hardcover, 224 Seiten, Preis: 20 Euro, Verlag Friedrich Oetinger, erschienen 2023, Auszeichnung mit dem EMYS-Sachbuchpreis 2023
Allgemeine Informationen rund um die Angst
Ängste bei Kindern sind ein natürliches Phänomen und ein wesentlicher Bestandteil des Heranwachsens. Sie können von leichten Unsicherheiten bis hin zu starken Phobien reichen und werden oft durch die Entwicklungsphase, in der sich ein Kind befindet, beeinflusst. Als Erzieher ist es wichtig, ein tiefes Verständnis für die Ängste der Kinder zu entwickeln, um sie effektiv unterstützen und begleiten zu können.
Woher kommt die Angst?
Einige Ängste sind evolutionär bedingt, wie die Angst vor Dunkelheit oder großen Höhen. Sie dienen als Schutzmechanismen. Andere Ängste entwickeln sich aus persönlichen Erfahrungen oder durch das Erlernen von Reaktionen der Menschen in ihrer Umgebung. Zusätzlich können Veränderungen im Umfeld, wie ein Umzug, Kita-Wechsel oder familiäre Spannungen, Unsicherheiten bei Kindern auslösen.
Kleinkinder erleben oft Trennungsangst oder Angst vor Fremden, da sie beginnen, die Welt um sich herum zu erkunden, aber noch sehr auf ihre Bezugspersonen angewiesen sind. Kindergartenkinder können vor allem vor dem Unbekannten Angst haben. Dazu gehören imaginäre Ängste wie die vor Monstern unter dem Bett oder die Angst, von den Eltern nicht abgeholt zu werden.
Ängste besser erkennen
Kinder drücken ihre Ängste nicht immer direkt aus. Anzeichen können Verhaltensänderungen, Rückzug, körperliche Symptome wie Bauchschmerzen oder Schlafprobleme sein. Sensibilität und Aufmerksamkeit für solche Signale sind entscheidend, um Kindern beizustehen.
Umgang mit Ängsten
Der Umgang mit Ängsten ist ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung von Kindern. Als Erzieher spielt Ihr eine zentrale Rolle dabei, Kinder in dieser Herausforderung zu unterstützen. Durch das Bereitstellen einer sicheren Umgebung, das Ermutigen zu offenen Gesprächen und das Anbieten von Unterstützung könnt Ihr Kindern helfen, ihre Ängste zu überwinden bzw. sie zu akzeptieren und zu resilienten Individuen heranzuwachsen. Sie sollten stets wissen, dass sie nicht allein gelassen werden mit ihren Ängsten und Sorgen und dass diese völlig normal sind. Sprecht Euch dazu unbedingt auch mit den Eltern ab. Gerade bei starken oder langanhaltenden Ängsten der Kinder kann es sinnvoll sein, professionelle Hilfsangebote zu vermitteln.
Wie geht Ihr damit um, wenn ein Kind in Eurer Einrichtung von der Angst geplagt wird? Habt Ihr weitere Buchtipps? Dann lasst es uns auf unserem Instagram- oder Facebook-Kanal wissen!
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