Elterngespräch – Alltagsanekdote Teil 10

Bald ist es soweit: das Elterngespräch in der Kita. Ich blicke völlig verschlafen auf den Wecker: „Noch 10 Minuten schlafen, ehe diese furchtbare Woche beginnt!“ und gefühlte 3 Sekunden (die Realität sagt 10 Minuten) später klingelt der Wecker und ich muss aufstehen. Aufstehen, um mich selbst hinzurichten. Na gut. Die Formulierung ist nun wirklich etwas übertrieben. Wobei… Wenn ich genauer darüber nachdenke, gleicht so manches Elterngespräch schon einer Hinrichtung.

Wie dem auch sei. Es sind also Elternsprechtage und ich muss heut mit Eltern sprechen. Und Morgen und Übermorgen und überhaupt. Ich mache diese Woche nichts anderes als mit Eltern zu sprechen.

Na gut. Dies lässt ja auch der Name schon vermuten.

Elternsprechtage: Wer hat sich das überhaupt ausgedacht? Ich meine… wozu sind die da?

Na klar, im Ursprung sind sie für den Austausch da. Austausch ist ja nie verkehrt. Aber sein wir doch mal ehrlich: Ich bin doch Erzieherin geworden, um Kinder zu betreuen, begleiten, bilden und auch zu erziehen. Darin bin ich gut. Ich bin aber nicht Erzieherin geworden, um Eltern zu betreuen, begleiten, bilden und auch zu erziehen. Da läuft doch was falsch. Denn nun steht mir diese Woche bevor. Diese Woche mit den Eltern. Und Eltern können so verdammt schwierig sein. Schwieriger als jedes noch so schwierige Kind: Sie meckern und jammern und schimpfen und wollen alles wissen und schlussendlich wollen sie jemandem die Schuld für alles geben können.

„Was? Das Kind isst nicht richtig?“ – Die Erzieherin hat Schuld. „Wie? Es haut neuerdings?“ – Die Erzieherin ist schuld. Und dass es nicht richtig sprechen kann, ist ja wohl auch ein Versäumnis der Erzieherin. Die Liste ist endlos. Naja. Und dann gibt es ja noch jene Eltern, die einfach nur hören wollen, dass ihr Kind großartig ist. Klüger, weiter und besser als alle anderen. „Hat sie denn hier in der Kita auch schonmal geäußert, dass sie Ärztin werden wird… äh will?“

Elterngespräche sind schon etwas Besonderes.

Ja, genau … das ist das, was die kleine, dreijährige Anne-Marie-Sophie tagtäglich erzählt.

Und was ist mit den Eltern, denen eh alles egal ist? Die gibt es auch. Das sind zwar leichte Elterngespräche, aber mental sind die genauso anstrengend, weil man frustriert feststellt, dass alle Bemühungen um Justin-Jeremy-Luca-Finn ins Leere laufen.

Hachjaaa ….

Was wird diese Woche wohl Spannendes passieren?!

In der Kita angekommen begrüße ich freudig alle Kinder und gehe dann mit gesenktem Kopf ins Mitarbeiterzimmer. Ich bereite alle nett vor. Wieder so eine Situation, wo außen und innen nicht zusammenpassen, denn während ich die herbstlichen Kerzen auf dem Tisch anzünde, Kekse aufstelle und Kaffee bereitstelle, also Harmonie und Freude zum Ausdruck kommen, schreit alles in mir: „ICH HABE KEINEN BOCK!“

Augen zu und durch.

Wenige Minuten später sitze ich der ersten Mutti gegenüber. Ein ganz lockeres Gespräch für den Montagmorgen. Das motiviert mich zu Gespräch Nummer zwei. Auch dieses Gespräch ist, nunja … okay. Ein bisschen Ignoranz seitens des Vaters hier, eine Prise Arroganz seitens der Mutter da, aber schon okay. Auch das habe ich geschafft. Folgen für diesen Tag ja nur noch 4 Gespräche.

6 Elterngespräche in 6 Stunden. Kann man machen. Jeden Tag.

Wie dem auch sei. Am heutigen Tage habe ich den größten Respekt vor Elterngespräch Nummer vier. Warum? Ganz einfach. Es geht um den kleinen Mirko. Mirko ist 5 Jahre alt und lebt in seiner eigenen Welt. Er starrt oft an die Decke, weil er in seiner Welt verschwindet und sich die tollsten Sachen ausdenkt. Er ist dann nicht mehr ansprechbar und hört nicht mehr, was in seiner Umwelt passiert. Auch wenn er dann angesprochen wird, oder Aufträge bekommt, kommen diese gar nicht bei ihm an. Stattdessen sprudelt dann ein paar Minuten später eine spannende Geschichte über Drachen und Feen aus ihm heraus. Das ist total süß und die grenzenlose Fantasie ist eine Bereicherung für unseren Alltag. Im Hinblick auf die Schule jedoch eher kompliziert und nicht gerade hilfreich.

Nun gilt es also Mirkos Eltern, die beide erfolgreiche Notare sind, in einem freundlichen Gespräch mitzuteilen, dass ihr Sohn mit seiner zuckersüßen Art womöglich Schwierigkeiten in der Schule bekommen könnte. Ein Gespräch, das man nicht so gerne führt, denn es könnte schwierig und kompliziert werden.  Der Lösungsvorschlag meinerseits könnte nämlich sein, dass Mirko ein Jahr zurückgestuft wird. Aber wie soll ich das den Eltern erklären? „Das Kind soll zurückgestuft werden? Wie bitte? Denkt ihr hier unser Kind ist dumm?“

Das ist die typische Reaktion. Und dann noch die Eltern von Mirko. Ich kenne sie kaum, da sie beruflich schwer eingebunden sind. Meist wird er von der Oma gebracht und abgeholt.

Was soll ich sagen… Die ganze Kombi bereitet mir richtig Bauchweh. Vielleicht töten sie mich einfach direkt? Oder sie lassen ihre Connections spielen und stecken mich ins Gefängnis? Ah! Die Möglichkeiten sind so vielfältig. Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Ob ich einfach gehe? Ja. Zack: Ein Sprung aus dem Fenster und das Problem wäre gelöst. Tot wäre ich dann nicht, aber ich würde mir sicherlich was brechen. Und mit der Fahrt ins Krankenhaus wäre dieses Gespräch sicherlich passé. Sowas von passé!

Während ich über die Ernsthaftigkeit meiner Gedanken nachdenke, betreten die Eltern von Mirko das Spielfeld. Und noch bevor das Spiel beginnt, führen sie 1:0, einfach nur weil sie so perfekt aussehen. Warum sehen die so perfekt aus? Das ist frech. Allein durch ihre wahnsinnig charismatische Erscheinung, fühl ich mich unterlegen und trau mich gar nicht zu sprechen. Nach meiner Begrüßung machen sie direkt das 2:0. Wie? Indem sie so verdammt nett und freundlich sind. Ich bin baff. Ich biete noch Getränke und Kekse an und schließlich geht es los.

Doch was dann passiert, hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht.

Wie man das als erfahrene gute Erzieherin so macht, beginne ich zunächst damit, ganz allgemeine Dinge über den kleinen Mirko zu erzählen. Hier hebe ich dann die besonders positiven Dinge hervor, um schließlich zu den negativen Eigenschaften, insbesondere zu unserem Problemchen, zu kommen.

Ich beginne darüber zu sprechen, dass Mirko gerne im Bauraum spielt und Dinge konstruiert und dass er sich dabei die tollsten Geschichten ausdenkt. Sein fester Spielpartner ist seit einiger Zeit der Justus. Und zusammen sind sie ein großartiges Team.

Nun ja. Während ich so rede, bemerke ich folgendes: Die interessierte und freundlich Mutter von Mirko hört gespannt zu. Doch was passiert da mit dem Vater? Ich spreche und der Blick des Vaters (der übrigens aussieht wie Mirko in groß) schweift ab. Erst denke ich noch, dass ich mir das auf Grund der Ähnlichkeit zum Sohn nur einbilde, doch dann wird es mir klar: Je mehr ich rede, umso mehr wandert der Blick des Vaters gen Decke. Schlimmer noch: Als ich bei dem heiklen Thema angekommen bin, gerate ich ins Stocken. Nicht nur der Blick des Vaters geht an die Decke. Der ganze Kopf neigt sich mittlerweile nach hinten. Und während ich noch irritiert erzähle, dass Mirko immer an die Decke starrt und dann nicht mehr ansprechbar ist, merke ich, dass ich mit dem Vater das exakte Ebenbild vor mir sitzen habe. Er ist abwesend, starrt an die Decke und beginnt mit ziemlicher Sicherheit auch gleich von Drachen und Feen zu erzählen. Ich schaue die Mutter amüsiert an. Wir könnten jetzt sagen, was wir wollen. Der Vater von Mirko würde es nicht mitkriegen. Das weiß sie, das weiß ich und wir lachen zusammen.

„Tja“, sagt sie „Wie der Vater so der Sohn“.  Wir lachen und ich lasse meinen Lösungsvorschlag mit der Zurückstufung ungesagt, denn plötzlich bin ich mir ganz sicher: Trotz dieser Eigenart, wird Mirko seinen Weg gehen. Genau wie sein Vater. 😊

Wie sehen Eure Elterngespräche aus? Lustige Anekdoten, peinliche Momente oder inspirierende Ereignisse? Wir kennen wohl alle solche Elterngespräche.

Von Manuela

Manuela kann als Erzieherin sehr gut mit Kindern, aber auch mit Texten.

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