Obst essen in der Kita – Alltagsanekdote Teil 14
Jedes Jahr am 7. März ist es so weit: Der Tag der gesunden Ernährung steht auf dem Plan! Und das ist natürlich ein super Anlass, um uns mit dem Konzept „Ernährung“ in unseren Kitas zu beschäftigen!
Natürlich ist das Thema Ernährung in Kitas so eine Sache für sich. „Von enorm hoher Bedeutung“, denkt sich da jede Kita-Leitung. Und spätestens, wenn es um die Konzepterstellung geht, wird der Trumpf der gesunden Ernährung gezogen.
Ja, na klar. Das hat schon alles seinen Sinn, aber nichtsdestotrotz fragt man sich, ob nicht irgendwann mal das Zeitalter kommt, in dem es andere Muss-Schwerpunkte in der Pädagogik in Kitas gibt als eben die Ernährung.
Lange Rede, sehr kurzer Sinn: Der Tag der gesunden Ernährung steht an und in der Dienstbesprechung schaut man in lange Gesichter – denn alle stellen fest: Als ausgezeichnete gesunde Kita haben wir das Thema Ernährung im letzten Jahr mal wieder ganz schön schleifen lassen. Jetzt müssen gesunde Angebote her!
Schleifen lassen ist gut. Man könnte auch sagen: Es hat jetzt ein Jahr lang niemanden mehr interessiert. Denn seien wir doch mal ehrlich: Der Tag der gesunden Ernährung ist da, danach kommt Kroko, ein sympathisches Krokodil, angestellt bei irgendeiner Krankenkasse, und putzt mit den Kindern die Zähne und zeigt ihnen, worauf sie beim Putzen vor allem achten müssen. Aber auch Kroko vertritt einen Punkt ganz besonders vehement: Er zeigt den Kindern wie man sich gesund ernährt, sodass auch die Zähnchen heile bleiben.
Und ist Kroko erstmal wieder abgedampft scheint das Thema der gesunden Ernährung auch schon wieder in Vergessenheit zu geraten. Dann kommt nämlich Ostern! Und zu Ostern kommen die Schokohasen und Schokoeier. Und warum sollten wir den Kleinen an Ostern nicht auch mal einen Kakao anbieten? Ach und wenn der Kakao doch schon mal da ist, könnte man ihn doch auch gleich jeden Morgen anbieten. Schwupps. Wo ist denn die gesunde Ernährung hin? Dazu noch die Milchschnitte, die die kleine Hanna immer zum Frühstück mitbringt und die dann irgendwie doch von den Erzieherinnen* toleriert wird und schon ist das Drama perfekt.
Gibt es eigentlich auch eine Auszeichnung: Ungesunde Kita?
Leider nein. Sollte man mal erfinden. Ich glaube viele Kitas wären da wahnsinnig hoch im Kurs. Und seien wir doch mal ehrlich: Kitas sind auf Plakettenjagd! Kitas lieben es, sich ihre Tür mit Plaketten vollzutackern. Plaketten sind DAS Aushängeschild: Musikalische Kita, gesunde Kita, Sport-Kita, Projekt-Kita – was es da nicht alles gibt!
Und dann gibt es doch halt auch Kitas, die keine einzige Plakette haben und genau da kommt dann unsere neue „ungesunde Kita“-Plakette ins Spiel.
Wie dem auch sei.
Bei der Dienstbesprechung wurde überlegt, welche Angebote wir anlässlich dieses Tages bereitstellen wollen. Dann kommen halt die Klassiker auf den Tisch: Es gibt ein „gesundes Frühstücksbuffet“, wir backen Brot und Kuchen (ohne Zucker, ohne Ei, ohne Öl und ohne alles… gesund halt) und dann machen wir noch einen Obstsalat und legen Brotgesichter mit Gemüse. Schlussendlich wird noch die Gemüsesuppe gekocht. Ach ja, und wir stellen natürlich Kräutertee her. Ganz wichtig. Alternativ bieten wir dann noch „Geschmackswasser“ an. Hier ein Wässerchen mit ein paar Scheiben Zitrone und dort eins- mit ein bisschen Ingwer und Kräutern. Herrlich.
Der Plan steht, er muss nur noch ausgeführt werden.
Und hier komme ich ins Spiel. Meine Aufgabe in diesem Jahr: Obstsalat.
Obstsalat ist einfach. Wobei… ehrlich gesagt ist alles einfach.
Doch, um das genauer zu verstehen, muss ich etwas weiter ausholen:
Kinder….
Kinder sind einfach ein Thema für sich. Man fragt sich, was in ihren Gehirnen los ist. Kinder sind dahingehend einfach sonderbar, dass sie zwei verschiedene Persönlichkeiten haben. Eine Persönlichkeit lebt zuhause bei den Erziehungsberechtigten, während die andere in der Kita lebt.
Zu oft habe ich das schon thematisiert. Da ist die Lena, die im Kindergarten kein einziges Wort spricht und zuhause redet wie ein Wasserfall. Oder der Ole, der im Kindergarten das liebste Kind der Welt ist, während er sich zuhause nicht bändigen lässt. Die Liste der Beispiele wäre nun endlos lang. Aber bei keinem Thema sind diese zwei Persönlichkeiten der Kinder so ausgeprägt und auffällig, wie bei dem Thema Ernährung: Die meisten Kinder sind beim Essen in irgendeiner Art und Weise wählerisch. Uta mag kein Brot, Tom isst keinen Käse, Marta isst nichts, was grün ist und überhaupt: Zu Mittag gibt es bei 90 % der Kinder Pfannkuchen und Nudeln im Wechsel. Mehr ist halt nicht drin.
Und jetzt kommen wir dazu, warum all diese bei der Dienstbesprechung besprochenen Angebote einfache Nummern werden:
Alle Kinder ändern beim Betreten der Kita ihre Persönlichkeit, wenn es um das Thema Ernährung geht! Sobald auch nur der erste Fuß die magischen Hallen der Kita betritt, legt sich ein Schalter im Kopf um und als Ergebnis hat man ein Kind, was alles isst.
Und da das, wie schon erwähnt, bei jedem einzelnen Kind so ist (das besagt quasi die Kinderkopf-Regel!) kann man den Kindern alles Essbare präsentieren und sie essen es!
Obst, Gemüse? Kein Problem
Und dann kommen wir zu den harten Fällen: Wie wäre es mit Sauerkraut- oder Senfsuppe?
Ich sage euch wie es ist: Ich habe es ausgetestet: KEIN PROBLEM!
Die Kinder essen alles. AAAAALLES!
Natürlich gibt es dafür Gründe. Ein Grund ist, dass sie es zumeist selbst mit herstellen und der zweite Grund ist, dass es ja halt alle essen. Gruppenzwang und so.
Ich mache also bald Obstsalat mit den Kindern und ich weiß, dass alle davon essen werden. Ja… sie werden es lieben.
Das witzige an der Geschichte ist, dass die Eltern der Kinder diesen Persönlichkeitswechsel ihrer Kinder nicht wahrhaben wollen.
Erzählt man ihnen schließlich, was der eigene Zögling alles gegessen oder getrunken hat, fallen sie vom Glauben ab und bezichtigen doch tatsächlich die Erzieherin der Lüge. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass Eltern nach einem Videobeweis gefragt haben, weil die Tatsache, dass ihr Kind beispielsweise Sauerkrautsuppe gegessen haben soll, den Eltern viel zu abwegig erscheint!
Wie ich schon sagte: Essen ist immer ein Thema!
Heute ist nun aber der große Tag gekommen. Ich mache mit den Kita-Kids Obstsalat.
Und mein persönliches Nebenprojekt bei dieser Aktion ist unser guter alter Thorben. Wir nennen ihn auch liebevoll „Nutella-Thorben“. Dass wir Thorben so nennen, liegt eigentlich nur daran, dass der andere Thorben mit Tomaten-Thorben einen echt tollen Namen hatte. Und beide Namen lassen ja nun vermuten, warum die Kinder so genannter werden. Da ist halt eben der gesunde Tomaten-Thorben und ein riesiger Unterschied hierzu ist natürlich der „ungesunde“ Nutella-Thorben.
Warum Nutella-Thorben Nutella-Thorben heißt, sollte auf der Hand liegen. Doch irrt euch nicht! Es ist nicht so, dass Thorben nur Nutella isst. Die Vermutung liegt nahe, aber tatsächlich ist es so, dass Thorbens Mutter behauptet, dass er nur Nutella-Brot isst. Zuhause mag dies ja der Wahrheit entsprechen, aber in der Kita sind die Gesetze eben anders und wie wir ausführlich berichtet haben, besitzen die Kinder in der Kita eine andere Ernährungspersönlichkeit.
Diese Theorie jedoch hält Thorbens Mutter für völlig unterirdisch. Sei kenne ihr Kind schließlich und wisse ganz genau, dass es nur Brot mit Nutella isst. So wird jede einzelne, mit Nutellabroten bestückte Frühstücksdose des Kleinen verboten (ihr wisst ja: Gesunde Kita, Plakette und so). Thorben bringt Nutella-Brot mit. Ausnahmslos. Jeden Tag. Thorbens Mutter: Beratungsresistent und das Akzeptieren von Regeln fällt ihr unheimlich schwer.
Die Regel: „Nutellabrot ist in unserer Kita verboten“, akzeptiert sie nicht!
„Thorben isst nur Nutellabrot! Er mag nichts anderes! Seht das doch endlich ein!“, entgegnet sie oftmals schnippig, wenn ich ihr zum hundertsten Mal meine Zwei-Persönlichkeiten-Theorie erläutere und sie diese zum hundertsten Mal abschmettert und als Lüge abtut.
Nun machen wir also Obstsalat. Und ich bin bereit. Ich werde Beweise sammeln.
Die Kinder beginnen mit dem Schneiden des Obstes und wie es nun mal so ist, wenn Kinder irgendwas in der Küche machen, landet jedes zweite geschnittene Stück Obst im Mund. So auch bei Thorben. Also bei beiden Thorben. Aber der Tomaten-Thorben hat uns ja in diesem Kontext nicht zu interessieren. Dass der seine Tomaten isst und zu den Tomaten noch viele, viele andere Dinge, ist ja irgendwie ganz logisch. Kommen wir zurück zu unserem Hauptakteur. Dieser nämlich schneidet zunächst Apfel und jedes zweite Stück landet gekonnt in seinem Mund. Gleiches Spiel übrigens auch bei Kiwi, Banane und Mandarine. Dicht gefolgt von Birne.
Bei jeder einzelnen Wanderung von kleinen Obststücken in den Mund des Jungen, mache ich ganz geschickt, wie ein Geheimagent, ein Foto.
Nutella-Thorben isst beim Zubereiten des Obstsalates soviel Obst, dass Tomaten-Thorben nur staunt. Und ich bin mir sicher, dass seine Mutter gänzlich in Ohnmacht fallen wird, wenn sie diese Bilder zu sehen bekommt!
Nach dem Zubereiten des Salates folgt das große gemeinsame Essen. Und jetzt ratet mal, wer am allermeisten isst?
Bingo! Unser Thorben. Er kann nicht aufhören zu essen. Nach einiger Zeit, selbst, als alle Kinder längst aufgestanden sind, sitzt Thorben ganz alleine da und isst. Kann man sowas schon Fress-Orgie nennen? Ich bin mir nicht sicher. Auch dieses Szenario fotografiere ich.
Dass Thorben sich wenige Minuten später übergibt, fotografiere ich hingegen nicht. Dieses Ereignis lassen wir einfach unkommentiert.
Schließlich betrachte ich meine Fotos:
Thorben isst Apfel, Thorben isst Kiwi, Thorben isst Mandarine und Thorben isst Banane. Er isst Birne und Kirschen und zu guter Letzt isst er einen kompletten Obstsalat.
Aus all diesen Bildern stelle ich eine hervorragende Collage für seine Mutter zusammen.
Die Vorfreude in mir steigt auf, wenn ich daran denke, wie ich der Mutter meine Collage später präsentieren kann.
Einige Stunden später ist es dann so weit: Der Moment ist gekommen, Thorbens Mama parkt ihr Auto vor der Kita und läuft auf die Türe zu. Ich habe ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen. Ich ziehe in den Kampf und weiß für mich, dass ich als Siegerin herausgehen werde.
Thorbens Mama kommt rein, nimmt seine Tasche, schaut in die Brotdose und kommt zu mir. Ihr Gesichtsausdruck ist auch sehr siegessicher. Das wiederum macht mir ja gar nichts. Ich werde gewinnen!
Von weitem ruft sie:
„Thorben hat heute sein Nutellabrot nicht gegessen. Er isst nur Nutellabrot!“
„Nutellabrot ist hier verboten!“, antworte ich.
„Thorben isst nur Nutellabrot!“, entgegnet sie.
So und dann kommt mein Einsatz. Ich kremple die Ärmel hoch und zücke die Collage:
„Schau mal, was dein Sohn heute alles gegessen hat!!!“ Ich präsentiere alle Fotos und schaue triumphierend.
Und was macht sie? Sie macht mich sprachlos.
Anstatt, dass sie sich freut oder begeistert ist und ENDLICH MEINER ZWEI-PERSÖNLICHKEITEN-THEORIE zustimmt, sagt sie folgendes:
„Na toll… und das geschmierte Nutella-Brot muss ich nun wieder wegschmeißen.“
Bitte was? „Ich habe deinem Sohn heute erfolgreich beigebracht, dass Obst sehr lecker schmeckt.“
„Ja, das ist ja gut und schön, aber ich schmeiß halt nicht gerne Lebensmittel weg. Und ich werde jetzt garantiert nicht damit anfangen, nur weil er sein Brot nicht isst.“
Okay. Diese Konversation war völlig sinnbefreit. Schade. Mein Auftrag war so schön und meine Umsetzung so genial…
Nichtsdestotrotz ist wieder mal klar geworden, dass meine Theorie eben doch stimmt.
Am Beispiel unseres Nutella-Thorbens wird klar:
- Obst in der Kita = Mega cool!
- Obst zuhause = ihhh!
Und so habe ich doch wieder mal meinen Beitrag zum Tag der gesunden Ernährung geleistet. Für einen einzigen Tag hat Thorben nun Obst anstatt des Nutellabrotes gegessen… meine Theorie wurde nochmals bestätigt und ich bin glücklich und zufrieden, dass das „gesunde Kita“ Thema nun wieder mal für ein Jahr durch ist.
*Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen & personenbezogenen Wörtern wurde hier die weibliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.
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